Nahkritik

104 Seiten
Ausgabe: Klappenbroschur
Erschienen: August 2025
»Wir stehen am Rande des Desasters, ohne es in dem, was kommt, verorten zu können: Es ist vielmehr schon längst vergangen, und dennoch stehen wir am Rand oder werden davon bedroht«, so Maurice Blanchot 1980 in Die Schrift des Desasters. In sprachgestisch auf ihren unnahbaren Gegenstand – das Desaster, den Holocaust - ausgerichteten Fragmenten sucht er nach einer Sprache, um die Erfahrung einer jede begriffliche Ordnung verstörenden Ur-Sache zu ergründen.
Im Dialog mit Blanchots Schrift stellt sich der israelische Philosoph Shaul Setter dem Krieg in Gaza nach dem Massaker der Hamas als einem unfassbaren Ereignis, das unsere Gewissheiten erschüttert und das er als Symptom eines globalen Zusammenbruchs sieht. Im Zentrum stehen weniger historisch-politische Zusammenhänge, sondern eine Kritik der »intellektuellen Praktiken«, die den Nahostkonflikt vergegenwärtigen sollen, sein Ausmaß und seine Widersprüche aber nicht mehr zu begreifen vermögen. Gesucht wird eine »kritische Praxis […] die diesem Zustand […] angemessen ist«: eine »Nahkritik, die keine vorformulierten Lösungen aus der Ferne anbietet« – und dazu beitragen kann, »ein palästinensisch-israelisch-internationales Gespräch« fortzusetzen.
Über die Autoren
Maurice Blanchot (1907-2003), Romanautor, Philosoph, Literaturkritiker. Heute ist Blanchot vor allem bekannt für seine Essays (u.a. zu Char, Sade, Kafka). Seine frühen Verbindungen zur extremen und antisemitischen Rechten im Vichy-Frankreich stehen im Kontrast zu seiner Freundschaft mit jüdischen Denkern wie Emmanuel Lévinas. Zur Zeit des Algerienkriegs näherte er sich linken Positionen an, ohne dabei seine geistige Alleinstellung je aufzugeben. Seine Reflexionen zu den Abgründen von Sprache und Hermeneutik (in Le Pas au-delà, 1973 und in L’écriture du désastre, 1980) gelten als wegweisend für die Entwicklung dekonstruktivistischer Ansätze.
Shaul Setter lehrt an der Bezalel Accademy of Arts in Jerusalem und schreibt u.a. für Haaretz über das Verhältnis von Ästhetik und Politik in emanzipatorischen wie auch reaktionären Projekten zwischen Europa und dem Nahen Osten. 2021 erschien sein Buch über Jean-Luc Godard, Jean Genet und den palästinensischen Kampf der 1970er–Jahren. Er ist Herausgeber von der bimestralen Zeitschrift Theory and Criticism. Eine Sonderausgabe mit dem Titel »Critique of War« (Sommer 2024) bildet die Grundlage seines hier erweiterten Essays.
Andere Publikationen
- BücherMartha Naujoks - Harry Naujoks
Zwei Leben für die Befreiung. Aufbrüche, Aufstände und Niederlagen - Zwischen Revolution und Inferno. Ein Doppelband.
LESEBUCH 1: »Das vergessene Leben der Martha Naujoks« - von Henning Fischer u.v.m. // LESEBUCH 2: »Mein Leben im KZ Sachsenhausen« - Kommentierte und erweiterte Neuedition.